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Ben Thornley gehörte zur berühmten Class of 92 bei ManUnited. Er war sogar besser als seine Teamkollegen, die Ryan Giggs, David Beckham oder Paul Scholes hießen. Mit 18 veränderte eine falsche Entscheidung sein Leben. Sein Absturz hätte fast in eine Katastrophe gemündet.

Manchmal trifft man im Leben Entscheidungen, die einem ganz lapidar erscheinen, letztlich aber ein ganzes Leben auf den Kopf stellen können. Im Fall von Ben Thornley ist es die Antwort auf die einfache Frage seines Trainers, ob er ausgewechselt werden möchte. Thornley sagte nein. Ein schlichtes Nein, das sich noch heute, fast zweieinhalb Jahrzehnte später, manchmal in seine Gedanken verirrt.

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"Das ist wahrscheinlich die schlechteste Entscheidung, die ich in meinem Leben getroffen habe", sagt Thornley heute dem Guardian. Damals war er das vielleicht größte Talent in ganz England, gerade 18 Jahre alt. Kurz zuvor hatte er gegen West Ham sein Premier-League-Debüt für Manchester United gefeiert.

An jenem schicksalbehafteten Abend im Frühjahr 1994 spielt er gerade mit der Reserve der Red Devils gegen die Blackburn Rovers, sein Coach Jim Ryan will ihn nach gut einer Stunde vom Platz nehmen. Um ihn zu schonen, soll Thornley ein paar Tage später doch beim FA-Cup-Halbfinale gegen Oldham in Wembley im Kader der ersten Mannschaft stehen. Doch er lehnt ab, bleibt auf dem Rasen - und sein designierter Aufstieg sollte nur wenige Minuten später in Trümmern liegen, bevor er überhaupt so richtig begonnen hatte.

Beckham und Scholes: Er war besser als wir anderen

Ein paar Schritte zurück. Mit 14 Jahren wechselt Thornley, der in Salford, einer mittelgroßen Stadt in direkter Nähe zu Manchester aufwuchs, in die Akademie von United. Mit 17 ist er der Linksaußen der berühmten Class of 92, die in selbigem Jahr den FA-Youth-Cup gewinnt und landesweit für Aufsehen sorgt.

Thornley spielt mit Ryan Giggs, David Beckham, den Neville-Brüdern, Paul Scholes und Nicky Butt. Spieler, die in den nächsten Jahren die wohl erfolgreichste Ära der Red Devils prägen sollten. Spätere Weltklassespieler.

Thornley sticht dennoch heraus, selbst unter ihnen. Er hat das ganz besondere gewisse Etwas. Keineswegs ist er einer jener, die nur der Legende nach mal so gut waren, dass sie spätere Ausnahmekönner hätten in den Schatten stellen können.

"Er war ein Level über uns anderen, er konnte einfach alles", sagt Scholes in Thornleys Autobiografie. "Ben hätte uns alle übertroffen - das ist das Traurige. Er wäre ohne Zweifel einer der Besten geworden, den United und England je gesehen haben", sagt Beckham. Und Gary Neville beschreibt den einstigen Superdribbler als "eines der außergewöhnlichsten Talente, mit dem ich je gespielt habe", vergleicht Thornley mit Eden Hazard.

Doch die 70. Minute in jenem Spiel mit der Reserve gegen Blackburn machte das alles zunichte. Thornley spielte einen Pass in die Tiefe, den Blackburns Verteidiger Nicky Marker mit einem heftigen Tackling verhindern wollte, allerdings viel zu spät kam.

Er erwischte Thornley so brutal, dass in dessen rechtem Knie praktisch nichts heil blieb. Rob Swire, damals Physiotherapeut bei United, sagte später, es sei die schlimmste Knieverletzung gewesen, die er in 30 Jahren gesehen habe. Sir Alex Ferguson, der große Stücke auf Thornley gehalten hatte, bestand sogar darauf, dass sein Schützling rechtlich gegen Marker und Blackburn vorgehen solle.

"Als ich später im Behandlungsraum lag, dämmerte es mir allmählich: Das könnte es gewesen sein", schreibt Thornley in seiner Autobiografie. Es ist beinahe ein Wunder, dass er sich irgendwie zurückkämpfte, nach der Verletzung noch vier Jahre lang bei United unter Vertrag stand.

Doch er absolvierte insgesamt nur noch acht weitere Premier-League-Spiele, war meilenweit entfernt von dem, was aus ihm hätte werden können, wäre er gesund geblieben. Immerhin: Er kam auf einige U21-Länderspiele für England, zeigte bei Leihen zu Stockport oder Huddersfield zeitweise wieder gute Ansätze.

Doch die flinken Richtungswechsel auf engstem Raum, die ihn früher auszeichneten, mit denen er die Verteidiger zur Weißglut getrieben hatte, konnte er mit dem lädierten Knie nicht mehr so gut, nicht mehr so dynamisch auf den Platz bringen. "Es war wie mit einem Stück Seil oder Holz: Wenn man es in der Mitte durchbricht und dann probiert, es zu reparieren, wird es nie wieder so stark und stabil, wie es davor war. Und im Fußball auf allerhöchstem Niveau geht es eben um feine Unterschiede. Genau darauf hatte ich mich vor der Verletzung verlassen können."

"Brillanter Abend" bei United gegen Bayern im Camp Nou

Ende Mai 1999. Manchester United bejubelte dieser Tage das Triple, gewann in Barcelona durch ein 2:1 gegen den FC Bayern die Champions League. Beckham, Giggs, Scholes, Butt, Gary und Phil Neville. Thornleys ehemalige Mitspieler, sie alle, die ihn als noch talentierter als sich selbst adeln, stemmten den Henkelpott in die Höhe.

Thornley saß damals im Camp Nou auf der Tribüne. Als Zuschauer. Ein Jahr zuvor war er fest von Manchester nach Huddersfield gewechselt, hatte dort immerhin eine ganz ordentliche erste Saison in der dritten Liga gespielt.

Wehmut will er nicht empfunden haben. "Es war ein brillanter Abend. Und es kam mir nicht einmal in den Sinn, dass ich jetzt auch da unten stehen könnte. Ich war einfach nur begeistert, dass die Jungs, mit denen ich groß geworden bin, Anteil an solch einer überragenden Saison hatten", sagte Thornley bei ESPN. Er versuchte stets, negative Gedanken auszublenden, nicht in Was-wäre-gewesen-wenn-Schemata zu verfallen, sein Schicksal anzunehmen. Gänzlich gelang ihm das jedoch nicht.

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"Ben war nach der Verletzung nicht mehr der Alte", sagt sein Bruder Rod, der heute noch als Masseur bei United arbeitet. "Wenn ich ganz ehrlich bin, war er seit jenem Tag nie wieder so glücklich, wie er es davor war." Eine traurige Aussage, die Ben zu großen Teilen unterschreibt: "Wahrscheinlich hat er irgendwo Recht. Mein Bruder erkennt Dinge, die nur ein Bruder erkennt. Und ich würde sagen, erst in den letzten vier oder fünf Jahren bin ich aus diesem Kokon ausgebrochen."

Thornleys Lächeln wurde um die Jahrtausendwende jedenfalls immer gequälter, er haderte nun doch immer mehr. "Ich hätte so gerne einfach mal 40 Spiele für United gemacht, ohne diese Verletzung mit 18. Einfach nur um zu sehen, wie es gelaufen wäre", sagt er. Nach drei Jahren bei Huddersfield wechselte er 2001 nach Schottland zu Aberdeen, hatte auch dort eine ganz gute erste Spielzeit.

Doch in seiner zweiten Saison brach alles zusammen, Thornley verfiel immer stärker dem Alkohol. "Ich verlor die Disziplin, das enttäuscht mich", sagt er heute. "Es gab Zeiten, da war ich so unfassbar frustriert. Und da braucht man - egal was einen in seiner Lebenssituation derart beengt - einfach ein Ventil, um es rauszulassen."

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"Wenn du nicht aufpasst, wirst du dich noch umbringen"

Noch vor seinem 29. Geburtstag, nach kurzen Intermezzi bei Blackpool und Bury, war seine Profi-Karriere im Frühjahr 2004 endgültig vorbei, danach arbeitete er zwischenzeitlich als Taxifahrer oder Fliesenleger. Den Tiefpunkt erreichte Thornley Anfang 2006, mittlerweile 30, nach der Trennung von seiner Frau.

"Ich ging von Pub zu Pub, von einer Frau zur anderen, stolperte von einer Dummheit in die andere. Ich schlief nicht und aß nichts. Ich trank und trank einfach nur", erinnert er sich. Acht oder neun Monate lang sah sein Leben so aus. "Dann sagte jemand zu mir: 'Hör mal zu: Wenn du nicht aufpasst, wirst du dich noch umbringen'. Und plötzlich hörte ich auf. Ich sagte mir: 'So kann ich nicht weitermachen'."

Thornley kam wieder auf die richtige Bahn, fand mit Lesley eine neue Liebe. United gab ihm einen Job beim hauseigenen TV-Sender der Red Devils, zudem arbeitet Thornley heute als Botschafter des Old Trafford. Mittlerweile 43 Jahre alt, hat er seinen Frieden gefunden, im Oktober seine Autobiografie veröffentlicht. Vor kurzem kam Gary Neville zur Signierstunde des Buches.

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"Ich habe immer gesagt, dass aus meiner Verletzung eines Tages auch etwas Gutes entstehen würde", betont er. "Und dieses Gute ist mein Buch. Es befriedigt mich enorm, dass die Jungs, mit denen ich aufwuchs, sich mehr als 20 Jahre später bereit erklärten, sich für mich zu verbürgen. Um den Leuten möglicherweise aufzuzeigen, dass ich kein x-beliebiges, abgehobenes Kind war, das es letztlich nie geschafft hat. Egal, wie sich das Buch verkauft, daran werde ich mich immer erinnern."

Und doch sind es nicht die warmen Worte von Beckham, von Scholes oder den Neville-Brüdern, die Thornley am stolzesten machen und heute gut damit leben lassen, dass er vor fast 25 Jahren mal eine scheinbar lapidare, aber doch so verheerende Entscheidung traf.

"Ich weiß, dass ich ein guter Spieler war", sagt er und erklärt: "Und der einzige Grund dafür, dass ich das sagen kann, ist Eric Harrison (legendärer Nachwuchstrainer bei United, d. Red.). Denn nach einem seiner berühmten Anschisse, die er uns von Zeit zu Zeit aufdrückte, sagte er: 'Denkt niemals, dass ihr gute Spieler seid. Ihr seid erst dann gute Spieler, wenn ich es euch sage'. Und einmal hat er es mir gesagt. Das reichte mir als Beweis."

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